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  • daniamarthaler

Willkommen im Paradies

Aktualisiert: 19. Dez. 2019


Lange habe ich geschwiegen seit dem letzten Blogbeitrag. Die gute Nachricht: Mein Schweigen ist nicht einer massiven Verschlechterung meines Zustands geschuldet, sondern der Fertigstellung unseres Hauses und dem darauffolgenden Umzug. Jedes Fitzelchen Energie, das ich finden konnte, steckte ich in Haus, Umzug und in unsere Kinder.


Wir haben vorher schön gewohnt, jetzt wohnen wir traumhaft schön. Viel Raum für uns vier, respektive fünf. Die Katze ist schliesslich und zum Glück doch mit uns umgezogen, trotz längerer Abwesenheit. Ich fühle mich noch immer wie in den Ferien und bin einfach nur dankbar, so wohnen zu dürfen. Ein Anrecht darauf habe ich natürlich nicht. Wie sollte ich mir dieses denn auch erwerben können? Ich bin noch immer nicht fähig, einer geregelten und bezahlten Arbeit nachzugehen. Seit ein paar Wochen kann ich aber endlich wieder einmal einen Aufwärtstrend feststellen, der mich hoffen lässt. Hoffen, dass doch irgendwann alles wieder gut ist. Dass ich gesund werde. Dass ich wieder arbeiten kann, regelmässig. Dass ich meine Lehrerausbildung doch irgendwann abschliessen und das Lehrdiplom für Maturitätsschulen entgegennehmen darf. Dass ich irgendwann wieder eine Rolle spiele in der Gesellschaft. Dass ich meinen Kindern bald vorleben kann, was ich ihnen vorleben möchte.


Eine Leidensgenossin hat kürzlich folgenden Text publiziert. Ich fand ihn dermassen treffend und berührend, dass ich ihn hier erwähnen möchte.


«M.E. 

(M)ein Albtraum, schlimmer als man sich ihn je ausmalen könnte. Gefangen sein in einem Körper, der so schwach, kaputt und empfindlich ist, dass er einem im Bett gefangen hält, weit weg vom Leben. 

Über Jahre immer weitere Krankheitsverschlimmerung, trotz unzähligen medizinischen Versuchen dagegen zu halten. Das Leben vergeht so schnell, kaum neue Eindrücke, kaum neue Erlebnisse. Die Tage gleichen sich alle, dabei waren sie doch mal so vollgepackt und abwechslungsreich. Und zugleich vergehen die Minuten kaum, weil die Schmerzen oder andere Symptome nicht mehr auszuhalten sind.

Es ist unmöglich diese Krankheit in Worte zu fassen. Der folterartige Charakter der Symptome, aber auch die ganzen sekundären Abgründe, die sich auftun, wenn man mit einer Krankheit nicht die Versorgung bekommt, die man benötigt. Dabei fällt es schon so schwer zu akzeptieren, dass man hilfsbedürftig ist. Um Hilfe zu kämpfen, in dieser Situation oft unmöglich. Den Umständen so ausgeliefert zu sein, damit leben zu lernen, eine Kunst für sich.

Warten, ausharren seit Jahren, weil sich die Hoffnung auf Besserung, eine Therapie, die Hoffnung wieder am Leben teilnehmen zu können, kaum verliert. Sie kann zu einer Art Fluch werden, die ewige Hoffnung.

Jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Gefangen in einem Albtraum, den man kaum schildern kann, niemand begreifen kann, wenn er ihn nicht selber zum Körper hat.»


Geschrieben von Anna, schwerbetroffene ME-lerin.


Es ist in der Tat unmöglich, jemandem, der nicht selber an ME erkrankt ist, diese Krankheit erklären zu können. Genauso unmöglich wie es ist, jemandem erklären zu wollen, wie es sich anfühlt, wenn man einen lieben Menschen verliert. Hat man es nicht erlebt, so kann man es nicht nachfühlen.


In der letzten Zeit bin ich häufig gefragt worden: «Jetzt, mit dem neuen, schönen Haus, geht’s dir da nicht etwas besser?» Die Frage war lieb und mitfühlend gemeint. Ich hatte nur keine sozialverträgliche Antwort darauf. Ich hätte jeweils gerne zurückgefragt: «Würdest du diese Frage auch einem Krebskranken oder einem Menschen mit multipler Sklerose stellen?» Was soll es mir denn nützen, schön zu wohnen? Natürlich ist die Freude riesig über unser tolles Haus, davon werden aber die schweren Glieder nicht leichter, die Schmerzen nicht weniger, genauso wenig schwellen die Lymphknoten ab und die Konzentrationsstörungen verschwinden ebenfalls nicht. Tjaaaa, Leute!! ME ist halt eben nicht ‘nur im Kopf’…


Ich wage sogar zu behaupten, dass etliche Krankheiten, die als psychische Krankheiten behandelt werden, in Wahrheit körperliche Ursachen haben. Dann kann man Psychotherapien bis in alle Ewigkeit besuchen, gesund wird man trotzdem nicht. Dafür kann man, sofern der Psychotherapeut etwas taugt, irgendwann einigermassen mit der Krankheit und den damit verbundenen Behinderungen umgehen, ganz egal, um welche Krankheit es sich nun mal handelt. Fakt ist: Psychotherapie ist etwas Gutes, heilt aber – oh Wunder – keine körperlichen Krankheiten.


Für mich fühlt sich das neue Haus an wie ein kleines (oder eher grosses) Paradies. Ganz egal, wo ich sitze oder liege, ich kann immer hinausschauen. Ich kann meinen Kindern beim Trampolinspringen und Radfahren zusehen, ich sehe in die Ferne und kreisende Milane. Ich verbringe trotz der gesundheitlichen Verbesserung gezwungenermassen noch viel zu viel Zeit zu Hause und ich fühle mich sehr privilegiert, dass ich diese Zeit in einem Paradies verbringen darf.


Nachtrag: Dieser Text ist vor ein paar Wochen entstanden, kurz nachdem wir in unser neues Haus eingezogen sind. Die Belastungen des Umzugs und dem ganzen Drumherum - alte Wohnung abgeben, neue Umgebung, Einweihungsfeste und manches mehr - haben eine gesundheitliche Talfahrt hervorgerufen, die ich bis jetzt nicht zu stoppen imstande war. Die Hoffnung, doch gesund zu werden, ist einmal mehr verpufft. Lange habe ich mich mental dagegen gewehrt, die Verschlechterung als solche anzuerkennen und viel zu lange habe ich mein Aktivitätsniveau nicht meinem aktuellen Zustand angepasst. Am letzten Mittwoch hatte ich nach einem extrem anstrengenden und frustrierenden Arztgespräch im Unispital Zürich einen Crash. Ich konnte mich kaum noch bewegen, gerade noch meinen Namen sagen und musste im Wartezimmer der Infektiologie des Unispitals darauf warten, dass mein Mann mich abholt. Die anwesenden Ärzte kümmerten sich nicht um mich, liefen einfach an mir vorbei. Ich sass halb und lag halb auf einem Stuhl und konnte die Augen nicht mehr offenhalten, die Augendeckel waren einfach zu schwer. Irgendwann kam eine Administrationsangestellte und fragte, wer ich sei und was ich hier mache. Ich konnte ihr kaum antworten, sie sprach immer lauter mit mir, als sei ich betrunken oder irgendwie blöde im Kopf. Ich konnte ihr irgendwann verständlich machen, dass sie bitte nicht so schreien möge, ich Marthaler heisse, völlig erschöpft sei, liegen müsse und friere. Sie verstand absolut nicht, weshalb ich ihr nicht zur 30 Meter entfernten Pritsche folgen konnte. Wenn ich schon liegen wolle, so solle ich halt mitkommen. Dass ich diese lächerliche Distanz ohne viel Hilfe nicht mehr schaffen würde, kam ihr nicht in den Sinn. Ich empfand die Situation als dermassen demütigend, dass mir die Tränen nur so übers Gesicht liefen. Grund genug für sie, mich überlaut zu fragen, weshalb ich denn jetzt weine. Hätte ich gekonnt, hätte ich ihr ein böses, nicht jugendfreies Schimpfwort an den Kopf geknallt. Sie meinte dann lakonisch: «Na, wenn Sie nicht wollen, lass ich Sie eben hier hocken.» Immerhin brachte sie mir eine Decke und legte meine Beine auf einen Stuhl.

Meine Erleichterung, als ich die süssen Kinderstimmen meiner Jungs und die ruhige, liebevolle Stimme meines Mannes hörte, war grenzenlos. Dieses Mal waren es Tränen der Freude.






Es ist wunderschön, hier zu wohnen. Danke, liebes Universum!

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